Vorweggenommene Erbfolge

Geschenkt ist geschenkt - oder doch nicht?

Es kann durchaus gute Gründe geben, die Generationennachfolge in die eigenen Immobilien bereits zu Lebzeiten zu regeln und damit nicht bis zum eigenen Tod - dem Erbfall - zu warten.

Wir sprechen dann von einer vorweggenommenen Erbfolge, die in Form eines notariell beurkundungspflichtigen Grundstücksübertragungsvertrags umgesetzt wird. Für die Praxis ist es typisch, dass es nicht nur um reine Immobilienschenkungen geht, sondern dass sich die übertragende Generation an den bisher genutzten Teilen der Immobilie Wohnungsrechte oder Nießbrauchsrechte vorbehält. Natürlich sind weitere Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Immobilienübertragung ebenso typisch (vgl. Horst, Übertragung und Vererbung von Grundbesitz, 4. Aufl. 2022, S. 320 ff). Dazu folgender Fall:

Mutter M überträgt ihr Zweifamilienhaus zu Lebzeiten an ihren Sohn S in vorweggenommener Erbfolge.

S wohnt mit seiner Ehefrau F mit im Haus. Mutter M behält sich ein Wohnungsrecht an ihrer bisher genutzten Wohnung vor. Als der Alltag für M zu beschwerlich wird, muss sie ihre Wohnung aufgeben und in ein Altenpflegeheim ziehen. Zur Deckung der entstehenden Kosten reicht ihre Rente nicht aus. Deshalb bezieht sie ergänzend Sozialleistungen. S und F machen sich Sorgen darum, dass der Sozialhilfeträger im Regresswege zur Rückführung der verauslagten Sozialleistungen auf das Haus oder auf das Wohnungsrecht zugreift. Ist die Sorge berechtigt?

Zunächst:

Ist für Mutter M ein Wohnungsrecht im Grundbuch eingetragen und kann sie dieses Wohnungsrecht aus eigenen gesundheitlichen - subjektiven - Gründen nicht mehr ausüben, sprich: die Wohnung nicht mehr nutzen und wechselt sie nun in ein Senioren- oder Pflegeheim, so geht das Recht zur Nutzung der verlassenen Wohnung nicht unter, sondern bleibt bestehen (§ 1093 BGB; so ausdrücklich: OLG Hamm, Urteil vom 26. Februar 2009 – I-22 U 113/08 –, juris; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 2.1.2007 - 3 U 116/06, ZMR2007, 369). Unter geht es als höchstpersönliches Recht erst, wenn M als Wohnungsberechtigte stirbt (§§ 1090 Abs. 2, 1061 BGB).

Unter ginge das Wohnungsrecht auch, wenn seine Ausübung dauerhaft für jedermann - objektiv - unmöglich würde und niemanden mehr einen Vorteil böte (OLG Hamm, Urteil vom 26. Februar 2009 – I-22 U 113/08, juris Rn. 29 der Entscheidungsgründe). Das sei, so das OLG Hamm zu Recht, in dem hier betrachteten Verein nicht anzunehmen; denn mit Gestattung der wohnberechtigten könne vermietet werden und die Mieteinkünfte könnten zur Deckung des täglichen Unterhaltsbedarfs wieder Heimkosten eingesetzt werden.

Die Eigentümer haben bei Umzug der Berechtigten in ein Pflegeheim auch keinen Anspruch auf Löschung des Wohnungsrechts (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 5.8.2010 - 5 W 175/10-65, NZM 2011, 215). Auch ein dauerhafter Wechsel gibt keinen Löschungsanspruch. Denn auch dann, wenn aus gesundheitlichen Gründen eine Rückkehr unwahrscheinlich ist, bleibt der Wohnungsrechtsberechtigten die Entscheidung darüber, ihr Recht wieder auszuüben und sich dann in ihrer Wohnung pflegen zu lassen (BGH, Urteil vom 19. Januar 2007 – V ZR 163/06; NZM 2007, 381; OLG Oldenburg, Urteil vom 11.1.1994 - 5 U 117/93, juris).

Natürlich kann der Notarvertrag, mit dem das Wohnungsrecht bestellt wird, auch vorsehen, dass die Berechtigte im Falle eines notwendig werdenden Umzugs ins Altenheim auf ihr eingeräumtes Wohnungsrecht verzichtet. Von einer solchen Vereinbarung ist dringend abzuraten. Denn mit ihr geht die Gefahr des Sozialregresses einher. Verzichtet die Berechtigte in diesem Fall (dazu OLG Hamm, Urteil vom 26. Februar 2009 – I-22 U 113/08 –, juris Rn. 30 der Entscheidungsgründe; BGH, Urteil vom 26. Oktober 1999 – X ZR 69/97, NJW 2000, 728), und verarmt sie dann später infolge der hohen Heimkostenbelastung, so entsteht in ihrer Person ein gesetzlicher Rückforderungsanspruch wegen Verarmung der Schenkerin (§ 528 BGB). Denn das im Grundbuch eingetragene Wohnungsrecht verkörpert eine geldwerte Vermögensposition, die durch den Verzicht unentgeltlich aufgegeben wird. In der Löschung liegt also ein Geschenk in Form einer wegfallenden Belastung mit einem fremden Wohnungsrecht, sprich: eine Schenkung an die aktuellen Grundstückseigentümer, die übernehmende Generation vor. Der entstandene Rückforderungsanspruch kann nun gesetzlich vom Sozialhilfeträger auf sich übergeleitet und gegen die heutigen Immobilieneigentümer gerichtlich durchgesetzt werden. Im Ergebnis läuft das darauf hinaus, dass der Kapitalwert des Rechts oder etwaige Erträge aus dem Wohnungsrecht zum Beispiel bei Vermietung der fraglichen Wohnung an den Sozialhilfeträger fallen.

Zum Verständnis: Ob ein Wohnungsrecht im Unterschied zum Nießbrauchsrecht neben der eigenen Nutzung der Wohnung auch deren Vermietung erlaubt, ist dabei eine ganz andere Frage des konkreten Vereinbarungsinhalts, der wir uns im Folgenden zuwenden. Widmen wir uns dazu nun wieder unserem weitergehenden Ausgangsfall:

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S und F tauschen die Wohnung und ziehen nun in die leere Wohnung der M.

Ihre eigene Wohnung vermieten sie an ihren Sohn E, den Enkel der M. S und F fragen weiter danach, ob der Sozialhilfeträger auch auf die Mieten aus diesem Mietverhältnis zugreifen kann. Diese Frage ist im Ergebnis zu verneinen. Denn die Mieteinkünfte fließen aus der Vermietung einer Wohnung, auf die sich das Wohnungsrecht gerade nicht bezieht. Sie stehen deshalb den Eigentümern des Hauses zu. Der Sozialhilfeträger könnte nur auf tatsächlich erlangte Mieteinkünfte der Wohnung zugreifen, für die das Wohnungsrecht gilt. Zwar dient das Wohnungsrecht lediglich Wohnzwecken des Berechtigten (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB), doch kann die Befugnis auch zu einer Vermietung ausdrücklich vereinbart werden (OLG München, Beschluss vom 23.8.2022 - 8 U 1186/22, ZMR 2022, 963, Rn. 12. Entscheidungsgründe nach juris; ebenso BeckOGK/Kazele - Bearbeitungsstand 1.5.2022, § 1093 BGB Rn. 10).

Auch hier ist es eine andere Frage, ob der Sozialhilfeträger auf den ersparten Nutzungsvorteil der Wohnung durch die Eigentümer zugreifen kann, die ja dem Wohnungsrecht von M unterliegt. Solange M nicht auf ihr Wohnungsrecht verzichtet, liegt aus diesem Grunde keine Schenkung vor; ein entsprechender Rückforderungsanspruch bei Verarmung des Schenkers ist folglich nicht entstanden und kann deshalb auch nicht auf den Sozialhilfeträger übergeleitet werden.

Fraglich bleibt dann immer noch, ob in der Tatsache, dass M ihren Sohn S mit seiner Frau F „mietfrei“ in ihrer ehemaligen Wohnung wohnen lässt, eine Schenkung dieses unentgeltlichen Gebrauchsvorteils mit den entsprechenden Rechtsfolgen nach sich ziehen kann. Das richtet sich zunächst einmal danach, ob die Befugnis zur Vermietung im konkreten Fall nach dem Vereinbarungsinhalt überhaupt Gegenstand des eingeräumten Wohnungsrechts sein kann, was mangels ausdrücklicher abweichender Regelungen im notariellen Übertragungsvertrag in aller Regel nicht der Fall ist (eingehend dazu OLG München, Beschluss vom 23.8.2022 - 8 U 186/22, Rn. 12 der Entscheidungsgründe nach juris mit weiteren Nachweisen).

Enthält das bestellte Wohnungsrecht keine vertraglichen Abreden darüber, wie die Wohnung im Falle eines notwendigen Umzugs des Berechtigten ins Altenheim weiter genutzt werden soll, insbesondere, ob sie in diesem Falle vermietet werden muss, so entsteht auch keine Pflicht der Immobilieneigentümer zur Vermietung oder zur Gestattung einer Vermietung durch die Wohnungberechtigte (BGH, Urteil vom 9.1.2009 - V ZR 168/07, DNotZ 2009, 431 ff). Wertersatzansprüche des Sozialhilfeträgers bei Selbstnutzung durch den Hauseigentümer bestehen dann ebenso wenig wie im Falle der Überlassung an nahe Angehörige (BGH, Urteil vom 9.1.2009 - V ZR 168/07, DNotZ 2009, 431 ff). Werden hier Mieteinkünfte erzielt, sollen sie ausschließlich dem Immobilieneigentümer zustehen, soweit bei der Bestellung des Wohnungsrechts vertraglich nichts anderes vereinbart wurde (OLG Hamm, Urteil vom 28.9.2009 - 5 U 80/07, DNotZ 2010, 128 ff; OLG Köln, Beschluss vom 25.6.2014 – I-11 U 13/14 , MDR 2014, 948; vgl. auch: BGH, Urteil vom 13.7.2012 - V ZR 206/11, NZM 2012, 800).

So, und nun zum übertragenen Haus selbst:

Wird gegen den Vorbehalt eines Nießbrauchs oder gegen Einräumung eines Wohnungsrechts übertragen, so liegt keine einheitliche Schenkung in Höhe des vollen Immobilienwertes vor, sondern eine gemischte Schenkung mit entgeltlichen Teil, eben dem Wert des kapitalisierten Rechts. Dieser entgeltliche Anteil kann durch weitere Abreden erhöht werden, um einerseits legal Schenkungsteuer zu sparen und gleichzeitig einen Sozialhilferegress auf die Schenkung bei Verarmung des Schenkers möglichst gering zu halten. Dann: Der Rückforderungsanspruch bei Verarmung des Schenkers besteht nur binnen einer Frist von 10 Jahren (§§ 528, 529 Abs. 1, 2. Alt. BGB). Für die Berechnung kommt es darauf an, ob „die Erschöpfung des Vermögens“ in der Frist tatsächlich eingetreten ist, nicht auf den Eintritt der Umstände, die später einmal zur Verarmung führen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1999 – X ZR 69/97 –, BGHZ 143, 51-55). Ist die Frist verstrichen, droht keine Gefahr mehr.

Verbleibende Ansprüche wegen Verarmung des Schenkers kann der Sozialhilfeträger allerdings im Falle erbrachter Leistungen auf sich überleiten und gegenüber den heutigen Immobilieneigentümern - soweit sie als beschenkt anzusehen sind - liquidieren (§§ 93, 94 SGB XII), wenn zuvor entsprechende öffentlich-rechtliche Geldleistungen als Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe geflossen sind. Der Sozialhilfeträger kann in diesem Fall den Rückforderungsanspruch des Schenkers wegen Verarmung gegen den Beschenkten nach Überleitung selbst notfalls gerichtlich geltend machen.

Der Überleitung steht es nicht entgegen, wenn es sich bei dem übertragenen Gegenstand in der Hand des Sozialhilfeempfängers um „Schonvermögen“ gehandelt hätte, dass zum Beispiel bei der Berechnung eines Unterhaltsanspruchs der verarmten Eltern gegen die Kinder außer Betracht bliebe (BGH, Urteil vom 19.10.2004 – X ZR 3/03, MDR 2005, 676 = NJW 2005, 670; a. A. Baumann/Schulze-zur Wiesche, Handbuch der Vermögensnachfolge, 5. Aufl. 1997, S. 212 Rdn. 771). Es ist Aufgabe einer guten Gestaltung des Übertragungsvertrags, solchen Konsequenzen möglichst die Spitze zu nehmen.

Endlich zu lösen bleibt dann noch die Frage, ob die übertragene Immobilie im Zuge eines etwa geschuldeten Elternunterhalts bei Verarmung der übertragenen Generation im Pflegefall angerechnet oder verwertet werden muss, oder als nicht zu berücksichtigendes Schonvermögen behandelt werden darf (dazu im Einzelnen Horst, Übertragung und Vererbung von Grundbesitz, 4. Aufl. 2022, S. 298 ff, 308 ff; zur Einweisung in ein Pflegeheim ohne vorherige Information und gegen den Willen der Mutter, die zuvor das Haus auf ihn übertrug, als grober Undank des Beschenkten Sohns mit Schenkungswiderruf: BGH, Urteil vom 25.3.2014 - X ZR 94/12).

Rechtsanwalt Dr. Hans Reinold Horst, Hannover/Solingen